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WDSF – Schließung der "Delfin-Lagune" in Nürnberg aus wissenschaftlichen und finanziellen Gründen vorprogrammiert

28.07.2011 (WDSF) - Aufgrund einer wissenschaftlichen Stellungnahme von PD Dr. Christian Schulze (Ruhr-Universität Bochum) zu der aktuell vom Bundesministerium (BMELV) vorgesehenen Änderung des Säugetiergutachtens zur Haltung von Delfinen müsste die "Delfin-Lagune" eigentlich wieder geschlossen werden, da sie die Voraussetzungen nicht erfüllt, die nun erstmalig in Deutschland von einem anerkannten Wissenschaftler aufgestellt wurden. Die Forschung zur Delfinhaltung hat sich weiterentwickelt und wird vom Tiergarten Nürnberg (und dem Delfinarium Duisburg) völlig ignoriert.

Auszug aus der wissenschaftlichen Stellungnahme von PD Dr. Christian Schulze (Ruhr-Universität-Bochum) zu der Änderung des Säugetiergutachtens zur Haltung von Delfinen durch das Bundesministerium BMEL

Dr. Christian Schulze (Ruhr-Universität Bochum)

Wissenschaftliche Vorschläge für eine Neufassung der Abschnitte die Delfinhaltung

„Haltungsbedingungen: Unterbringung – Anlage Raumbedarf, Wasserqualität - Physikalische und chemische Parameter, sowie zum Forschungs- und Wissenschaftsbezug“ bezüglich der Haltung von Walen und Delfinen
von Priv.-Doz. Dr. Christian Schulze - Ruhr-Universität Bochum

(08.04.2010) PD Dr. Christian Schulze: Biologe (mit den Schwerpunkten Stoffwechselphysiologie, Zoologie und spezielle Botanik) und Altphilologe, ist seit 2003 habilitierter Angehöriger der Medizinischen Fakultät an der Ruhr-Universität Bochum. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen auf medizin- bzw. biologiehistorischen und -ethischen Fragestellungen. Seine Lehrveranstaltungen (seit 1999) sind interdisziplinär geprägt und beziehen Medizin, Biologie, Klassische Philologie (hier Lehrauftrag) und Ethik mit ein. Er arbeitet als Gutachter für verschiedene wissenschaftliche Zeitschriften und ist Träger des Preises für Studierende der Ruhr-Universität Bochum 1999 für seine Dissertation.

a) zu: Haltungsbedingungen, Punkt 1: Unterbringung - Anlage und Raumbedarf

Aus ökologischer und ethologischer Sicht kommt der Simulation des natürlichen Habitats einer Tier-art in Zoos bzw. Delfinarien eine zentrale Bedeutung zu. Während dies für bestimmte Tiergruppen auch unter Anlegung kritischer Maßstäbe durchaus realisierbar scheint - z. B. bei euryöken, kleineren Tierarten oder bei Schlangen, deren natürlicher Platzbedarf mit hinreichend großen und entsprechend ausgestatteten Terrarien abbildbar ist -, ergeben sich im Falle des Großen Tümmlers (Tursiops truncatus), auf den sich das Säugetiergutachten für die Cetacea exemplarisch bezieht, grundlegende Probleme:

Die Spezies bewohnt ein komplementäres Habitat, dessen Größe wesentlich vom Aktionsradius, z. B. bei der Nahrungssuche, bestimmt wird. So tauchen sie bis zu 200-300 m tief, erreichen Geschwindigkeiten von 50 km/h (z. T. höher; Angaben variieren) und legen oft große Tagesstrecken zurück. Die im Säugetiergutachten vorgegebenen Größenanforderungen für bis zu fünf erwachsene Große Tümmler (Mindestoberfläche 400 m2, Gesamtwasservolumen 1.500 m3, Mindesttiefen - je nach Zweck variierend - zwischen 1,5 und 4,0 m) können bereits prima facie die genannten ökologischen und verhaltensbiologischen Charakteristika der Art nicht umsetzen: Weder stehen Strecken zur Verfügung, die eine hinreichend lange Bewegung in Maximalgeschwindigkeit oder ggf. gar ihr Erreichen ermöglichen, noch können natürliche Tauchtiefe und Distanzwanderungen auch nur ansatzweise simuliert werden.

Will man nun eine „artgerechte“ Haltung - der Terminus selbst ist umstritten - von Tursiops truncatus in Zoos nicht für grundsätzlich ausgeschlossen erklären, ergibt sich das Problem, dass aus obigen Punkten kaum eine konkrete Empfehlung für die baulichen Größenanforderungen ableitbar ist. Vorschlagsweise sei aber folgende überschlagsrechnung angeführt: Nimmt man Vmax, Beschleunigungsphase und die anzustrebende Vermeidung stereotypischer Kreisbewegungen (z. B. dadurch, dass es dem Delfin ermöglicht wird, zumindest eine Minute lang geradeaus zu schwimmen) als groben Bezugsrahmen, ergibt sich für die erforderliche Bahnenlänge ein Wert von rund 850-900 m.

Hier: Vollständige wissenschaftliche Stellungnahme

Anmerkung WDSF: Durch die wissenschaftlichen Vorschläge würde eine Delfinhaltung in Deutschland unmöglich gemacht, weil keines der beiden verbleibenden Delfinarien im Duisburger Zoo und in der "Delfin-Lagune" im Nürnberger Tiergarten diese Voraussetzungen erfüllt. Die vollständige wissenschaftliche Stellungnahme finden Sie hier.

Hinweis zur Lebenserwartung von Delfinen in freier Wildbahn von Dr. Dag Encke, Tiergarten-Direktor Nürnberg in einer Pressemitteilung der Stadt Nürnberg für den Tiergarten vom 29.06.2007:
- "die durchschnittliche Lebenserwartung des Großen Tümmlers in freier
Wildbahn beträgt 25,1 Jahre (exklusive aller nicht erfassten Neu- und Totgeborenen)"

- "die durchschnittliche Lebenserwartung in Nürnberg beträgt zur Zeit 17 Jahre (inklusive aller verstorbenen Neugeborenen und Totgeburten)."

Die Todesrate von Nachzuchten liegt in den beiden deutschen Zoos bei mehr als 75 Prozent. Die "Zeit-online" im Jahr 2015: "Von den 22 Delfinen, die seit 1971 in Nürnberg auf die Welt kamen, sind mittlerweile 17 tot." Von 29 Nachzuchten im Zoo Duisburg (Stand Oktober 2016) haben bisher lediglich acht Tiere überlebt (s.a. WAZ v. 15.05.2013).

Die tatsächliche Lebensspanne von Großen Tümmlern liegt laut Angaben von NOOA Fisheries in freier Wildbahn allerdings bei 40 bis 50 Jahren:

Große Tümmler haben in freier Wildbahn eine Lebenserwartung von rund 40-50 Jahren
Quelle: NOAA's National Marine Fisheries Service (NOAA Fisheries Service, or NMFS)

Zoofachmann Frank Albrecht zum Tiergarten Nürnberg:
"Was sie schon immer nicht wissen wollten ?! - Delphinarium Tiergarten Nürnberg